Imagine the City – Das Programm der HafenCity-Kuratorin

"Eine gute Stadt entsteht durch gute Planung. Aber lebendig wird sie durch unvorhergesehene Nutzungen." (Prof. Ellen Blumenstein) Die Kultur ist jener gesellschaftliche Bereich, in dem weder juristische oder soziale Grundlagen noch konkrete Anwendungen, sondern Wirkungen und Gefühle im Mittelpunkt stehen.

Public Face, Pressebild
Public Face, Pressebild

Urbane Räume brauchen Kultur, weil erst die Affekte, mit denen Menschen auf eine Stadt reagieren und durch die sie stabile Bindungen zu ihr entwickeln, sie lebendig machen. Das Kulturprogramm der HafenCity-Kuratorin widmet sich den ästhetischen und emotionalen Implikationen des neuen Stadtteils. Unter dem titelgebenden Leitmotiv IMAGINE THE CITY intervenieren seit November 2018 mehrere langfristig angelegte Projekte in das noch junge urbane Gefüge.

"IMAGINE THE CITY lädt dazu ein, die HafenCity neu zu entdecken und sich aktiv mit der gebauten Umgebung, aber auch ihren tieferliegenden urbanen Strukturen auseinanderzusetzen. Neben ästhetischem Denken ist Stadtentwicklung heute soziales, nachhaltiges, resilientes und zukunftsfähiges Gestalten. Kultur stellt in Frage, schafft neue Perspektiven und andere Auseinandersetzungsformen mit der Stadt. Dazu dient unser kulturelles Programm." (Prof. Jürgen Bruns-Berentelg)

Langfristig angelegte Projekte an frei zugänglichen Orten stellen deren vorgesehener Nutzung andere, unerwartete Anwendungen gegenüber. Diese "Un-Orte" laden Einzelne oder auch Gruppen ein zu erproben, was sie von einer lebendigen Stadt erwarten – und was sie selbst dafür tun wollen. Hierfür kooperiert die Kuratorin Ellen Blumenstein mit Hamburger Kulturschaffenden und internationalen Kreativen gleichermaßen, um gemeinsam fiktionale Anordnungen zu entwickeln, die unterschiedliche Gruppen von Nutzer miteinander in Berührung bringen. Kollektive Bezugspunkte wie die Elbphilharmonie, aber auch die Geschichte des Areals oder die Verkehrsinfrastruktur werden gezielt in die Überlegungen miteinbezogen und durch die Projekte neu interpretiert. Das Programm versteht sich als Medium potenzieller Begegnungen mit, in der und durch die gebaute Umwelt. Ob im Außenraum, an Bord eines Schiffes oder in Gebäuden – jedes Projekt bleibt eigenständig und bezieht sich zugleich auf andere Interventionen. Es entsteht ein stetig wachsendes Netz an Orten im städtischen Alltag, die jenseits des Konsums nutzbar sind.

Mit der Verschränkung von stadtplanerischen und ästhetischen Strategien positioniert sich Imagine the City auch im internationalen Kontext und möchte zu aktuellen Diskussionen über die Rolle von Kultur für die Entwicklung künftiger Städte beitragen. Das Programm ist eine Einladung, sich selbstreflexiv mit der begrenzten Reichweite von Kulturinstitutionen auseinanderzusetzen und andere Vorstellungen davon, was Kultur sein kann oder soll, in der öffentlichen Sphäre zu verankern. Ziel ist es, durch das Aufgreifen von Alltagserfahrungen einerseits und das Verlassen des exklusiven institutionellen Rahmens andererseits Schwellenängste gegenüber Kultur abzubauen.

Public Face

Das erste Projekt von IMAGINE THE CITY reagiert direkt auf den urbanen Raum: Wie ist die Stimmung in der HafenCity? Die Skulptur Public Face der Künstler Julius von Bismarck, Benjamin Maus und Richard Wilhelmer auf der Kibbelstegbrücke zeigt es uns: Das sieben Meter hohe Smiley aus Stahl und Neonröhren spiegelt die kollektive Gefühlslage der Menschen in Echtzeit wider – kann lächeln, traurig, zornig oder überrascht blicken. Auf der ältesten Brückenverbindung zwischen Stadtzentrum, Speicherstadt und HafenCity ist die Figur für Fußgänger, von der U-Bahn und vom Auto aus besonders in den Abend- und Nachtstunden weithin sichtbar.

Die jeweilige Stimmung des Smileys basiert auf den Gesichtsausdrücken von Passant, die von Sicherheitskameras im Stadtteil erfasst werden. Ohne diese zu speichern, sendet eine Software die gemessenen Daten in Echtzeit an die Mechanik der Apparatur. Dort übersetzt ein von den Künstlern entwickelter Algorithmus die Informationen in eine konkrete Emotion, die dementsprechend weder von Einzelpersonen beeinflusst werden kann noch individuelle Befindlichkeiten wiedergibt. Auf diese Weise verlagert das Public Face die Wahrnehmung von der eigenen Verfassung auf die Gefühlslage anderer Menschen in der Umgebung und wirkt potenziell gemeinschaftsfördernd. Zugleich lenkt es die Aufmerksamkeit auf die Überwachungsinstrumente, die den öffentlichen Raum vielerorts im Visier haben.

Ursprünglich im Jahr 2010 als temporäre Installation für den Leuchtturm an der Hafeneinfahrt von Lindau am Bodensee entwickelt, wurde das Public Face in den vergangenen Jahren mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten in Wien, Stuttgart oder Jonköping in Schweden präsentiert. Für die HafenCity haben die Künstler den Prototypen weiterentwickelt, mit der Unterstützung ortsansässiger Firmen überarbeitet und speziell für seinen besonderen Standort neu produziert. Gefertigt und montiert in Harburg, wird die Konstruktion auf dem Wasser bis an die Kibbelstegbrücke geliefert und dort mit einem Kran auf die Brücke gehoben, wo sie die HafenCity für mindestens ein Jahr unverkennbar als Kulturort sichtbar macht.

Seute Deern

Exponiert gelegen und als Verkehrsmittel dennoch fluide, mobil und flüchtig – eignet sich die Seute Deern ideal als Ort für Experimente über das urbane Leben und für Eingriffe in neuen Stadtteil. Als atmosphärisch dichter und thematisch spezifischer Kulturort adressiert das ehemalige Seebäderschiff Anrainer, Besucher und Fachpublikum gleichermaßen und dient als Anlaufstelle für Informationen über weitere Projekte des Kulturprogramms im Stadtraum. Darüber hinaus fungiert die Seute Deern als Büro der Kuratorin.

Das bis 2003 auf der Route Cuxhaven-Helgoland eingesetzte Passagierschiff (Baujahr 1961) befindet sich im Besitz der Reederei Arne Weber. Seit 2014 liegt die Seute Deern in Sichtweite der Elbphilharmonie im Traditionsschiffhafen, einer von der Stiftung Hamburg Maritim betriebenen Anlage, die historischen Schiffen eine innerstädtische Zuflucht bietet und zugleich in der HafenCity Hafentradition sichtbar macht. Dort ist das "süße Mädchen", so die hochdeutsche Übersetzung des Schiffsnamens, Teil des städtischen Alltags und weckt gleichzeitig das Besucherinteresse.

Geschichte der Kultur in der Hafencity

Ob Kunst, Musik oder Theateraufführungen – kulturelle Projekte erfüllten in der HafenCity-Entwicklung von Beginn an eine wichtige Funktion. In der Frühphase der Entwicklung, lange bevor die ersten Bewohner einzogen, war es die Kultur, die den noch jungen Stadtteil als öffentlichen Ort bekannt machte, ihn prägte und mit Leben füllte. Später, mit wachsendem Projektgebiet, entstand eine Vielzahl neuer kultureller Orte und Programme, die das Angebot der Hamburger Innenstadt stetig erweiterten.

Heute, 18 Jahre nach Beschluss des HafenCity-Masterplans, ist Kultur ein selbstverständlicher Bestandteil des täglichen Lebens. Über 400 Kulturveranstaltungen gibt es jährlich in der HafenCity – ohne Einrechnung der Elbphilharmonie-Konzerte. Sie reichen von großen Festivals wie Elbjazz oder Theater der Welt 2017 über Ausstellungen, Kleinkunst und die Veranstaltungen des jährlichen Programms Sommer in der HafenCity bis hin zu regelmäßigen Jazz- und Klassikkonzerten in der Halle 424, einer gemischt genutzten Werkstatthalle und Musik-Location im Quartier im Oberhafen, die am 13. November 2018 für das beste Livemusikprogramm eines deutschen Clubs von der Initiative Musik mit dem Spielstättenpreis "Applaus" ausgezeichnet wurde.

Bereits 2001 fand im gerade eröffneten HafenCity InfoCenter Kesselhaus ein Auftaktsymposium der Kulturbehörde und der Gesellschaft für Hafen und Standortentwicklung (Vorgängergesellschaft der HafenCity Hamburg GmbH) statt, um Perspektiven für die kulturelle Entwicklung auszuloten. Noch im selben Jahr wurden Gutachten von Prof. Dr. Gert Kähler und dem Stadtplanungsbüro ÜberNormalNull erstellt, welche die kulturellen Potenziale des neuen Stadtraums und seines maritimen und historischen Erbes herausstellten. 2002, noch bevor das erste Gebäude am Großen Grasbrook fertiggestellt wurde, fanden erste größere Kunst- und Musikprojekte im öffentlichen Raum statt, u. a. das serielle Format Musikalische LandArt Tune, verschiedene Installationen und Veranstaltungen im Rahmen der ArtGenda.

Aufgrund der wachsenden räumlichen Möglichkeiten und Projektanfragen wurde 2005 der Koordinierungskreis Kultur als spartenübergreifender Fachbeirat zur Sicherung der kulturellen Qualität und zur Begleitung der weiteren kulturellen Entwicklung gegründet. Ihm gehören Vertreter der Kulturbehörde und der HafenCity Hamburg GmbH sowie unterschiedlicher kultureller Sparten und Hamburger Institutionen an.

Schon bald nach der Gründung formulierte der Koordinierungskreis die Zielsetzung, kulturelle Vorhaben nicht nur mit Konzepten von etablierten Akteuren aus der Stadt zu verwirklichen, sondern auch proaktiv anzustoßen und programmatisch zu entwickeln. Während diese Idee über die Jahre reifte, nahmen die vielfältigen kulturellen Kooperationen in der HafenCity zu – beispielsweise mit Elbjazz, dem Thalia Theater und dem Harbour Front Literaturfestival.

Als Förderinstrument für kleinere Projekte im öffentlichen Raum gründeten die Hamburgische Kulturstiftung und die HafenCity Hamburg GmbH (später verstärkt durch die Körber-Stiftung) 2005 die Kooperation Kunst und Kultur in der HafenCity. Sie unterstützte und finanzierte bis 2012 insgesamt 24 Projekte. Im Rahmen dieser Kooperation wurde 2010 auch ein erster kuratorischer Ansatz erfolgreich erprobt: die Einbindung von Deichtorhallen, Kunstverein und Kampnagel mit der kuratorischen Entwicklung von drei Auftragsarbeiten (Global Design von Christian von Borries, The Bronze House von Plamen Dejanoff und Ein neues Produkt von Harun Farocki).

Das langfristige Ziel einen Kurator oder eine Kuratorin für die HafenCity zu engagieren wurde insbesondere im Rahmen eines Workshops 2013 u. a. mit Teilnahme von Kultursenatorin Prof. Barbara Kisseler, Prof. Dr. Gesa Ziemer (HafenCity Universität Hamburg HCU) und Amelie Deuflhard (Kampnagel) neu formuliert und konkretisiert. Die Grundidee war von einem breiten Konsens getragen: die Verpflichtung einer namhaften Persönlichkeit, welche an der Schnittstelle zwischen Stadtentwicklung und Kunst die kulturelle Identität der HafenCity prägt und stärkt.

Während die HafenCity weiter wächst und auch künftig neue kulturelle Akteure, Programme und Orte (z. B. zwei Kinos im Überseequartier, das Kinder-Architekturzentrum und die Märchenwelten-Ausstellung am Strandkai) hinzukommen werden, verfolgt das Programm IMAGINE THE CITY einen strategisch-langfristigen Ansatz: die Verschränkung von stadtplanerischen und ästhetischen Fragen, die den Menschen und seine Auseinandersetzung mit der gebauten Umwelt ins Zentrum rückt.

Kunst und Kultur in der Hafencity e. V.

Die Position einer für ein eigenes Kulturprogramm im Stadtteil verantwortlichen Kuratorin wurde durch die HafenCity Hamburg GmbH initiiert und im Zuge eines jurierten öffentlichen Verfahrens im August 2017 erstmals an Ellen Blumenstein vergeben. Die HCH sichert die Grundfinanzierung des Kulturprogramms in der Pilotphase und unterstützt den neu gegründeten Verein Kunst und Kultur in der HafenCity e. V., der als gemeinnütziger Träger zusätzliche finanzielle Ressourcen für das kuratorische Programm akquiriert und verwaltet.

Der Verein knüpft an die erfolgreiche Kooperation Kunst und Kultur in der HafenCity an, die als Förderinstrument in der Frühphase der HafenCity-Entwicklung kulturelle Projekte finanzierte, welche sich aktiv mit der damals neuen Umgebung und seiner spezifischen Ästhetik auseinandersetzten.

Die Gründungsmitglieder des Vereins sind Prof. Norbert Aust (Vorsitzender), Prof. Jürgen Bruns-Berentelg (Stellvertretender Vorsitzender), Prof. Dr. Uwe M. Schneede (Stellvertretender Vorsitzender), Eva Hubert (Schatzmeisterin), Sonja Bocek, Dr. Johannes Conradi, Andreas Heller, Peter Hess, Dr. Sandra Schürmann, Arne Weber, Brigitte Witthoefft und Prof. Dr. Gesa Ziemer.

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